Definition: Adrenoleukodystrophie (ALD) ist eine schwere fortschreitende genetische Krankheit, die die adrenalen Drüsen und die weiße Materie des Nervensystems betrifft. Sie wurde 1923 erstmals beschrieben und war als Schilder-Krankheit und Sudanophile Leukodystrophie bekannt. 1971 gab ihr Dr. Michael Blaw den Namen Adrenoleukodystrophie; adreno=bezogen auf die adrenalen Drüsen; leuko=bezogen auf die weiße Materie des Gehirns; Dystrophie=fehlerhaftes Wachstum oder fehlerhafte Entwicklung.
Klinische Symptome: ALD ist eine peroxisomale Ablagerungskrankheit, bei der anomale Peroxisome zur Ansammlung sehr langer Fettsäure-Molekülketten (=very long chain fatty acids, VLCFA) im Körpergewebe, vor allem im Gehirn und in den adrenalen Drüsen. Schließlich wird die die Nerven umgebende Myelinscheide zerstört, was neurologische Probleme hervorruft. Die Fehlfunktion der adrenalen Drüsen verursacht die Addison-Krankheit. Einige VLCFA, die sich anlagern, stammen aus der Ernährung, der Hauptteil aber wird vom Körper selbst produziert. Die Anlagerung von VLCFA bei ALD-Patienten resultiert aus ihrer Unfähigkeit, diese Substanzen abzubauen. Diese Reaktion geschieht normalerweise in einem Teil der Zelle, der Peroxisom genannt wird. ALD-Patienten fehlt eines der für den Abbau benötigten Proteine. Das fehlende Protein wird als ALDP bezeichnet (ALD-Protein). Dieser Mangel beruht seinerseits auf Mutationen oder Defekten des Gens, das ALDP kodiert. Dieses Gen liegt auf dem X-Chromosom.
Epidemiologie: ALD kommt bei vielen Völkern und verschiedensten ethnischen Gruppen in vielen Ländern der ganzen Welt vor und ist nicht in einer bestimmten Bevölkerungsgruppe besonders beheimatet.
Genetik: ALD ist eine X-Chromosom-gebundene Krankheit, was bedeutet, daß sie nur bei Männern ausbrechen kann und von Frauen übertragen wird. Solche Art von Krankheiten wird als „X-Chromosom-gebunden“ bezeichnet, da die genetische Anomalie das X-Chromosom betrifft. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer nur eines. Bei Frauen macht sich das betroffene X-Chromosom, das mit dem ALD-Gen, nicht bemerkbar aufgrund der Wirkung des normalen Gens. Bei Männern, die ein ALD-X-Chromosom haben, ist zum Schutz kein weiteres X-Chromosom vorhanden, daher treten die Symptome nur bei Männern auf. Ist eine Frau Trägerin für ALD, so können bei einer Schwangerschaft folgende Fälle auftreten: 25% gesunde männliche Nachkommen, 25% weibliche Nachkommen, die nicht Trägerinnen sind, 25% weibliche Nachkommen, die Trägerinnen sind, 25% männliche Nachkommen, die betroffen sind. Bei einer geschlechtsgebundenen Krankheit wie ALD werden die männlichen Nachkommen eines Mannes alle normal sein, doch alle seine Töchter werden Trägerinnen sein.
Klinischer Verlauf: Kindliche ALD: ALD kann in mehreren Formen auftreten. Die klassische kindliche Form ist die schwerste, die zumeist im Alter zwischen vier und zehn Jahren einsetzt. Ca. 35% der ALD-Patienten wird diese schwere Form der Krankheit entwickeln, und 65% werden sogar ohne Therapie davon verschont bleiben. Anfangs werden Probleme wie Lernbehinderungen auftreten, Wahrnehmungsprobleme, Konzentrationsstörungen, Verlust des Langzeit- und des Kurzzeitgedächtnisses, Sehbehinderung, Behinderung der Koordination, Gehbehinderung und verschiedene Veränderungen von Verhalten und Persönlichkeit. Eingeschränkte adrenale Funktion kann verstärkte Hautpigmentierung auslösen („Bräune“, Addison-Krankheit).
Die adrenale Störung kann durch orale Kortison-Gabe beherrscht werden; es sind jedoch die Probleme des angegriffenen Nervensystems, die die hauptsächliche Behinderung hervorrufen und die die Forscher verstehen und behandeln lernen möchten. Der Verlauf der tödlichen kindlichen Form zieht sich im allgemeinen vom ersten zum zehnten Lebensjahr hin in Verbindung mit einer Degeneration des Nervensystems, die den Patienten bettlägerig hinterläßt.
Adrenomyeloneuropathie (AMN): Eine weniger schwere Form, die Krankheit Adrenomyeloneuropathie (AMN), kann bei Heranwachsenden oder Erwachsenen vorkommen. AMN ist mittlerweile anerkannt als die häufigste Form der ALD. Sie betrifft näherungsweise 50% der ALD-Patienten und ist sogar ohne Therapie häufiger als die schwerwiegende kindliche Verlaufsform der Krankheit. Deutliche Manifestationen sind adrenale Schäden, verschieden schwere Gehbehinderungen aufgrund spastischer Lähmung, Schwierigkeiten beim Wasserlassen und Impotenz sowie manchmal kognitive Defekte, emotionale Störungen und Depression. Die neurologische Behinderung schreitet langsam über mehrere Dekaden voran.
Träger: Gelegentlich entwickeln Frauen, die ALD-Trägerinnen sind, in späteren Jahren milde neurologische Symptome. Klinische Manifestationen sind normalerweise begrenzt auf fortschreitende Paraparese, moderaten Verlust des Gefühlssinns und periphere Neuropathie. Die adrenale Funktion ist fast immer intakt.
Testverfahren: ALD/AMN wird durch einen einfachen Bluttest diagnostiziert, der auf den Gehalt an sehr langen Fettsäureketten analysiert wird. Während der Test bei Männern zuverlässig ist, zeigt er bei etwa 20% der Frauen, die Trägerinnen sind, „normale“ Werte an und liefert somit ein falsches negatives Ergebnis. Ein auf DNS basierender Bluttest ist kürzlich auf den Markt gekommen. Dieses Verfahren erlaubt die deutliche Identifikation von Trägerinnen, und wenn der Test normal ausfällt, kann die Frau versichert sein, daß sie keine Trägerin ist. Diagnostische Tests, Screening nach Trägerinnen und pränatale Diagnose sind mittlerweile möglich.
Forschung: Intensive Forschung wird weltweit zum Thema ALD betrieben. 1993 wurde durch die vereinten Bemühungen von Dr. Patrick Aubourg und Dr. Jean-Louis Mandel in Frankreich und Dr. Hugo Moser in den U.S.A. das für ALD verantwortliche Gen identifiziert. Dies hat die Tore für weitere Forschungen geöffnet.
Behandlung: Obwohl es für ALD keine definitive Behandlungsmethode gibt, werden experimentelle Studien mit der Lorenzos-Öl-Diät und mit Knochenmarkstransplantationen durchgeführt. Neue Therapien wie zum Beispiel Lovastatin und 4-Phenolbutyrat sind kürzlich vorgestellt worden, und derzeit werden Untersuchungen darüber vorgenommen, in welchem Maße sie wirksam sind. Gentherapie wird derzeit anhand neuerdings entwickelter ALD-Tiermodelle erforscht, doch für Menschen sind sie noch nicht geeignet.